
Der Prüfstand der Loyalität – Vom Zwang zur Selbstdefinition
Heute ist ein Tag, an dem Loyalität, Treue und Freundschaft auf den Prüfstand gestellt werden. Doch die eigentliche Frage liegt nicht im Verhalten des Gegenübers, sondern in unserer Perspektive. Werden wir uns in der alten Dualität von Richtig und Falsch verlieren, oder nutzen wir die Herausforderung für eine tiefere, innere Einkehr?
Die Mauer der Erwartung
Oftmals ist die erste Reaktion auf eine Enttäuschung, eine Mauer zu errichten. Wir verurteilen das Handeln des anderen und versuchen, unser eigenes ins rechte Licht zu rücken. Im Kern dieser Reaktion steht fast immer eine nicht erfüllte Erwartung.
Dabei ist diese Erwartung selten ein einfacher Wunsch. Sie ist meist ein Anspruch – das unbewusste „Du hättest so handeln müssen, weil ich es auch tun würde.“ Diese Forderung nach Gleichheit ignoriert die fundamentale Wahrheit: Jeder Mensch handelt aus seiner eigenen, einzigartigen Geschichte. Die Reaktion des anderen kann unsere eigene Handlung niemals wirklich „kompensieren,“ weil sie nicht mit unseren biografischen Prägungen übereinstimmt.
Loyalität als Überlebensstrategie
Meine eigene Erfahrung lehrte mich, wie tief diese Muster sitzen können. Gerade Menschen, die in dysfunktionalen oder toxischen Umfeldern aufwuchsen, entwickeln oft eine übersteigerte Loyalität – fast wie eine intuitive Überlebensstrategie.
Ich selbst sah mich in der Rolle des Beschützers, besonders des weiblichen Geschlechts. Doch dieses aktive Einstehen für andere trug eine stille, existentielle Hoffnung in sich: Wenn ich loyal bin, werde ich im Gegenzug gerettet. Meine Loyalität wurde zur Währung für meine eigene Sicherheit.
Die Folge war eine gefährliche Dynamik: Ich kämpfte aktiv für die Stabilität und das Vorankommen anderer (ein Helfersyndrom), während ich unfähig war, für meine eigenen Bedürfnisse einzustehen. Ich ordnete mich der „Willkür“ unter, lebte im Zwang, eine einseitige Harmonie aufrechtzuerhalten, und definierte meinen Wert nur in Verbindung zu anderen.
Die Innere Wende: Von der Konditionierung zur Wahl
Das Erkennen dieser Mechanismen – des Zwangs, des Helfersyndroms und der Angst vor dem Verlassenwerden – ist der erste, befreiende Schritt.
Die eigentliche Arbeit ist nun, sich nach innen zu richten und sich selbst neu zu definieren. Die Loyalität, die uns in der Kindheit als starre Regel übergestülpt wurde, muss einer bewussten Wahl weichen.
Der Prüfstand ist damit kein Test für die Treue der anderen, sondern ein Test für unsere eigene, neu gewonnene innere Freiheit:
- Was bedeutet Loyalität für mich, heute, ohne die Last der Vergangenheit?
- Bin ich bereit, die Loyalität zuerst mir selbst zu schenken?
- Kann ich die Ungleichheit der Reaktion akzeptieren, ohne eine Mauer zu errichten?
Wir sind nicht mehr die Geiseln unserer Schulung. Wir können die Definitionsmacht zurückgewinnen. Erst wenn wir lernen, loyal zu uns selbst zu sein, kann die Loyalität, die wir anderen schenken, wahrhaftig, frei und erwartungslos sein.
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